Melodien by Krausser Helmut

Melodien by Krausser Helmut

Autor:Krausser, Helmut [Krausser, Helmut]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783832188252
Herausgeber: Dumont
veröffentlicht: 2015-05-08T16:00:00+00:00


VII

1566 ff.

CARLO

Skizze einer Näherung

von

Hartmut v. Bardeleben

I

Etwa 95 Kilometer östlich Neapels, im Vorgebirge, 650 Meter über dem Meeresspiegel, fernab jeder Handelsroute, liegt seit dem siebten Jahrhundert eine Burg lombardischen Ursprungs. Eingebettet in wellige Hügel, ohne großen strategischen Nutzen, wurde sie wahrscheinlich von Anfang an als Stätte der Ruhe und Zuflucht konzipiert. Die Erde dort, nicht üppig fruchttragend, immerhin nie launisch, ermöglichte ringsum siedelnden Bauern ein arbeitsreiches, dabei relativ sicheres Leben in gemäßigt trockenem Klima. Ein kleiner Ort entstand so, zwischen Olivenhainen, Schafweiden und steilen grauen Äckern. Jägern standen weite Areale voll Hasen, Fasanen und Rotwild offen. Vor aller anderen Fauna gab es Wölfe – sie bildeten die einzige reale Bedrohung der Siedler.

Vom Jahr 1059 an wurde die Burg Besitz der Familie Gesualdo, die dem Ort ihren Namen gab und fortan ununterbrochen und ohne nennenswerte Komplikationen regierte. Durch eine Reihe geschickter Verheiratungen mehrte die altnormannische Sippe ihr Herrschaftsgebiet, bis dazu die Dörfer Frequento, Cantomango, Luceria, Aquapatrida, S. Barabato, Boneto, Caggiano und S. Lupolo gehörten. Mit der Zahl der Ländereien wuchs die Zahl der Titel, und als 1543 Luigi Gesualdo sich mit Isabella Ferrillo vermählte, brachte diese ihm als Mitgift den Fürstentitel von Venosa, woraufhin Luigi sich sogar Vizekönig des Reiches Neapel nennen durfte.

Luigis Sohn Fabrizio gebrauchte seine Freiersfüße politisch noch erfolgreicher, heiratete er doch Geronima Borromeo, Schwester des mächtigen Kardinals Carlo Borromeo (der bereits 1610 heiliggesprochen wurde). Geronima war darüber hinaus eine Nichte Papst Pius’ IV. Die Verwandtschaft zu Gottes Stellvertreter sollte für das Haus Gesualdo einige Bedeutung haben. Fabrizios jüngerer Bruder Alfonso wurde prompt zum Kardinal, später zum Dekan des Kardinalskollegiums und zum Erzbischof Neapels ernannt. (Alfonso mag Opernliebhabern heute noch ein Begriff sein; er gab den Bau der Sant’Andrea della Valle in Auftrag – wo bekanntlich der erste Akt der Tosca spielt.) Fabrizio gelangen mit Geronima vier gesunde Kinder, von denen gleich die ersten beiden Söhne waren. Somit schien das jedes Nobelgeschlecht plagende Problem des Erbenvorrats schnell und bravourös gemeistert.

Der zweite dieser Söhne wurde auf den Namen Carlo getauft. Dank neu entdeckter Dokumente kann als sein Geburtsdatum ziemlich sicher der 8. März 1566 gelten. Hinfällig werden dadurch viele Biographien, die ihn vier oder gar sechs Jahre früher geboren glaubten und aus dem Bezug seiner Taten und seines Alters zwangsläufig ungenaue Schlüsse zogen.

Der junge Carlo wächst auf in einem reich gewordenen, gesicherten und weiterhin prosperierenden Fürstenhaus, in der Eleganz der Hochrenaissance, in der Spiritualität der Gegenreformation. Sein Vater Fabrizio ist ein kulturell sehr interessierter Mensch, der Literatur und Musik liebt und eine Gruppe namhafter Künstler an seinen Hof bindet. Zwar kann er nicht mit dem Mäzenatentum der großen Häuser des Nordens konkurrieren, mit den Gonzaga und D’Este – aber es finden sich doch ein paar bemerkenswerte Charaktere auf seiner Gehaltsliste.

Carlo wird im Gebrauch der Erzlaute unterrichtet und bringt es auf diesem Instrument zu hoher Meisterschaft. Früh wird sein Leben von zwei Passionen bestimmt – der Musik und der Jagd. Was erstere betrifft, übt sich Carlo allerdings hauptsächlich in der Virtuosität des Spiels und unternimmt vorerst nur zaghafte Kompositionsversuche.

Er ist ein stiller, verschlossener Mensch, von hagerer, dennoch kräftiger Statur.



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